Jeder gibt, was er kann
Gemeinsam mehr erreichen gegen Armut und Lebensmittelverschwendung: Wie die Bassumer Tafel eine
Brücke zwischen Überfluss und Mangel schafft
Von Lara Kuschmann
Es ist Freitagmorgen, 8.30 Uhr. Gerade hält der erste Bulli vollgepackt mit Lebensmitteln vor
der Tafel in Bassum. Vier ehrenamtliche Mitarbeiter schleppen kistenweise frischen Spargel,
Kartoffeln, Farmersalat und Erdbeeren herein. Flink sortieren sechs andere Helfer die Ware
und räumen sie in die Regale ein. Jeder Handgriff sitzt, sie sind ein eingespieltes Team. Jeden
Freitag werden bei der Tafel in Bassum Lebensmittel an Bedürftige vergeben. Bevor um 14
Uhr der erste Ansturm beginnt, sollen noch zwei weitere Fahrzeuge mit Ware kommen. Es ist
der Tag nach Himmelfahrt. Hartmut Stolte, erster Vorsitzender der Bassumer Tafel, rechnet
heute mit einem besonders großen Andrang. "Es ist Monatsende, die Leute haben kein Geld
mehr", sagt er.
Die Bassumer Tafel ist eine von insgesamt 914 Tafeln in Deutschland. Als gemeinnützige
Organisationen unterstützen die Tafeln in Deutschland regelmäßig 1,5 Millionen bedürftige
Menschen mit Lebensmitteln. "Es ist wichtig, dass wir unser Essens- und Einkaufsverhalten
hinterfragen und uns bewusst machen, dass wir nicht in einer Wegschmeißgesellschaft leben
sollten", erklärt Hartmut Stolte. Hinter der Tafel steckt eine Idee, von der viele profitieren:
Nach dem Motto "Jeder gibt, was er kann" spenden örtliche Supermärkte, Bäcker,
Fleischereien und andere Unternehmen überschüssige Lebensmittel, die dann von freiwilligen
Helfern der Tafel abgeholt werden. So sparen Unternehmen Lager- und Entsorgungskosten
und bedürftige Menschen gehen mit vollen Tüten nach Hause. Die Tafel ermöglicht jedem
eine ausgewogene Ernährung. Außerdem verschafft sie Bedürftigen einen kleinen finanziellen
Spielraum. Erwachsene zahlen für einen Einkauf bei der Tafel einen symbolischen Beitrag
von 2,00 Euro, Kinder zahlen 1,00 Euro. Zwar werden die Lebensmittel gespendet, doch um die
laufenden Kosten für Miete, Fahrzeuge, Kühlungen oder Büromaterialien zu decken, ist die
Tafel auf Geldspenden angewiesen.
Bundesweit sind mehr als 50.000 Helfer für die Tafeln im Einsatz. Zum Team der Bassumer
Tafel gehören zur Zeit 24 Mitarbeiter. Sie bekommen dafür kein Geld, sondern arbeiten aus
Überzeugung ehrenamtlich für die Tafel. " Jeder gibt, was er kann. Es ist toll, Gutes zu tun",
meint Tanja Wulf. Sie gehört zum festen Stamm der Tafelmitarbeiter in Bassum. Die
Bassumer Tafel kooperiert mit dem Krankenhaus und der Lebenshilfe. So kommt es, dass
auch psychisch Kranke oder Alkoholkranke in der Tafel mithelfen. Außerdem leisten hier
zeitweilig Menschen ihre angeordneten Sozialstunden ab. Jeder kann sich bei der Tafel mit
seinen Fähigkeiten einbringen. Tanja Wulf ist für die Registrierung und Anmeldung der
Bedürftigen zuständig. Denn wer zur Lebensmittelausgabe bei der Tafel geht, darf nicht mehr
als 830 Euro im Monat zur Verfügung haben. Oft sind es Geringverdiener, Wohnungslose,
Hartz IV-Empfänger, alleinerziehende Mütter, Rentner oder Großfamilien, die zur Tafel
kommen. Die Bedürftigen müssen entsprechende Nachweise vom Arbeitsamt, der
Stadtverwaltung oder vom Jobcenter vorlegen und bekommen anschließend einen Ausweis,
der halbjährlich erneuert werden muss. In einem Computersystem sind alle Daten der Kunden
vermerkt. "Für viele Menschen ist die Hemmschwelle zu hoch und das Schamgefühl zu groß,
um das Angebot der Tafel in Anspruch zu nehmen", weiß Tafel-Managerin Edelgard
Schmelzer. Bei der Bassumer Tafel seien 170 Familien gelistet. Regelmäßig erscheinen
würden aber nur um die 100, erzählt sie.
Mittlerweile ist es fast 14 Uhr. Vor der Tür der Tafel hat sich eine lange Schlange von
Menschen gebildet. Alte und junge Leute, Schwangere, Rollstuhlfahrer und Kinder warten dort
mit großen Rucksäcken, Plastiktaschen und Wäschewannen, die sie auf Rollwagen gestellt
haben. Manche von ihnen sprechen kein Deutsch. Die zusammengewürfelten, aber
funktionalen Regale und Tische im Verkaufsbereich sind inzwischen prall gefüllt. Knackiggrüner
Brokkoli liegt neben Paprika, Feldsalat und erntefrischen Champignons. Ananas,
Mango, Weintrauben und Äpfel lagern daneben, gefolgt von einer Kühltruhe mit Fleisch und
einem Kühlregal mit Joghurt und Aufschnitt. Ein riesiges Brotregal schließt sich an. Alle
Mitarbeiter stehen mit einer orangefarbenen Tafel-Schürze hinter ihren Ständen. Sie sind bereit
für die erste Gruppe.
Um jedem einmal die Möglichkeit zu geben, sich besonders frische Ware auszusuchen, sind die
Bedürftigen in drei rotierende Gruppen eingeteilt, die zeitversetzt hintereinander einkaufen
können. Nach und nach kommen nun die Menschen herein. Sie zeigen am Eingang ihren
Ausweis vor und bekommen einen kleinen Aufkleber mit der Personenanzahl auf den
Handrücken geklebt. Danach richtet sich die Ausgabe der Lebensmittel. Die Bedürftigen gehen
von Stand zu Stand und ihre Taschen füllen sich immer mehr. Gerade kommt eine türkische
Großfamilie zur Tür herein und Hartmut Stolte geht ins Nebenzimmer, um einen großen Sack
Kartoffeln zu holen. Heute morgen seien so viele Kartoffeln gekommen und bei dieser Familie
würden sie am meisten gebraucht, meint er.
Hartmut Stolte verteilt Eis und Lollis an die Kinder und hat für jeden ein gutes Wort übrig.
Viele der Menschen kennt er beim Namen. Er kennt ihre Geschichten und ihre Schicksaale, die
vom Jobverlust bis hin zur Krebserkrankung reichen.
Für Hartmut Stolte ist die Tafel ein Ort der Kommunikation und der Begegnung. "Die Arbeit
hier hat mein Leben bereichert. Die Art, wie die Menschen Danke sagen berührt. Diese
herzliche Wärme, die rüberkommt, ist gewaltig", berichtet Stolte ergriffen. Gegen 15.30 Uhr ist
der Ansturm vorbei. Die Helfer packen zusammen. "Geputzt wird aber erst Montagmorgen, da
sind wir jetzt zu kaputt zu", sagt Edelgard Schmelzer.
An diesem Freitag hat die Tafel in Bassum 91 Erwachsene und 24 Kinder mit Lebensmitteln
versorgt. Viele von ihnen werden nächste Woche Freitag wieder in der Schlange stehen und
darauf warten, dass die Bassumer Tafel ihre Türen öffnet. |